Aus
Wage zu träumen
Herder Verlag

Mit seinen Gedanken
hat sich der Mensch entfesselt
mit seinem Mund, seiner Hand
zäunt er sich selbst wieder ein

 

Hoffnung gegen alle Hoffnungslosigkeit erfahren
Enttäuschung ohne jede Selbsttäuschung ertragen
das Nein mit dem Ja ersticken

 

Je grösser der Abstand
aus dem heraus du dich betrachtest
um so deutlicher kannst du erkennen
die Tiefen und Weiten
deiner Wirklichkeit

 

Abschied nehmen, sich trennen
aufgeben, einen Teil von sich selbst
etwas dem Wind überlassen
den Fluten, dem Wasser
das Sterben lernen
jeden Tag ein wenig
für das Neue das folgt

 

Wenn die Letzten die Ersten sein werden
verdient Respekt der Grashalm
nicht die Rose
gebietet Ehrfurcht der Tautropfen
nicht der Wasserfall
müssen den Augen der Seele
die Scheuklappen genommen werden

 

Unwichtig
Wolken, Blumen, Stunden des Glücks
zählen zu wollen
Wolken ziehen weiter
Blumen verblühen
Stunden des Glücks vergehen
Wichtig aber
sie überhaupt zu sehen
zu erkennen, zu geniessen
sie in den Gedanken zu bewahren

 

Bleibe an meiner Seite
auf meiner Wegstrecke
die ins Ungewisse führt
Bleibe an meiner Seite
bis ich selbst
das Ziel erkennen kann
Du, mein Freund
bleibe an meiner Seite
bis ich morgen
meinen Weg alleine gehe
Bleibe an meiner Seite
und ich werde übermorgen
dich begleiten

 

Leise Menschen
leise Freundschaften
stille Worte
stille Zeichen
übertönen lautstarkes Gerede
lautstarkes Getue
überdauern die Kurzlebigkeit
grosser Versprechungen
leerer Gesten

 

Sollte ich von Zeit zu Zeit müde werden
sag nichts
Dann habe ich etwas Wichtiges
irgendwann, irgendwo verloren
Lass mich dann in Ruhe
allein suchen gehen
Wach werde ich
zu dir zurückkommen

 

Ich wünsche mir
ein wenig mehr Geduld
mit dir, mit mir selbst
Ich wünsche mir
ein wenig mehr Demut
von Dir, von mir selbst
Denn morgen werden wir ernten
was wir heute gesät haben

 

Wage zu träumen
von dir und dem
was du nicht bist
Wage zu träumen
von dir und dem
was du nicht hast
Wage zu träumen
von dir
wie du wirklich bist
Wage zu träumen
von dir
und nach dem Erwachen
verwasche nicht
dein traumhaft
wahres Gesicht

 

Die Stürme deiner Belastungen
treiben die Gedanken umher
erdrücken sie in deinem Innersten
wirbeln deinen Lebensstaub auf
Die Stürme deiner Belastungen
legen in deinem Innersten
vielleicht längst verdrängte
wertvolle Gedanken frei

 

Im Unbequemen
Anstrengenden
Widerstandsträchtigen
verfängt sich
die Mitte des Lebens

 

Erschauern
ob der Nichtigkeit
Staunen
über das Trotzdem

 

Das haltbare Glück
ahnt der Mensch
fernab von sich selbst
Das unhaltbare Glück
lehrt ihn
den Augenblick zu lieben

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